Sex & Zärtlichkeit #1 – Eine stille Beobachterin im Spiel der Herzen

Der Frühling ist da – und mit ihm das Kribbeln, die Lust auf Nähe, vielleicht sogar auf Liebe. Serien, Memes und Social Media suggerieren uns: Dating ist ein Kinderspiel. Doch für viele fühlt es sich ganz anders an. Es macht eigentlich nur Spaß, wenn man sich traut, mitzumischen. Aber was, wenn genau das nicht so einfach ist?

Hallo liebe*r Leser*in, ich bin Sindy, studiere im Master in Marburg und schreibe für das PHILIPP Magazin. Und ich hatte noch nie einen Freund. Mein erstes Mal? Kurz vor meinem Bachelor – für viele in unserer Gesellschaft: deutlich zu spät. In dieser Reihe Sex & Zärtlichkeit möchte ich eure Themen rund um Sex, Zärtlichkeit und Nähe aufgreifen – offen, ehrlich und ohne Tabus. Weil niemand zu spät kommt. Weil Unsicherheiten menschlich sind. Und weil es keine Norm gibt – nur dein Gefühl zählt.

Immer dieses Warum?

Warum so spät? Gab es wirklich niemanden vorher? Nicht mal in der Realschule einen „Freund“? Hat dir niemand gefallen? Vielleicht sind deine Ansprüche zu hoch? Meine Antworten: Keine Ahnung, Nein, Nein, Nein – und ganz klar Nein. Es hat sich zu dem Zeitpunkt einfach richtig angefühlt. Nicht früher. Punkt.

Dating war für mich immer ein bisschen seltsam – fast schon ein Mysterium. Warum können manche Menschen scheinbar problemlos jedes Jahr eine neue Beziehung führen, während ich nicht mal den Mut aufbrachte, einer Person in der Bar ein Kompliment zu machen?

Lange dachte ich: Ich bin eine Rarität auf dem Campus. Doch dann habe ich online gemerkt, dass ich nicht allein bin. Da draußen sind viele, denen es genauso geht.

Ist das nicht peinlich?

Warum ich das hier so offen erzähle? Weil ich mir wünsche, dass wir ehrlicher über Intimität sprechen. Während meines Bachelors hatte ich oft das Gefühl: Wer viele Sexualpartner*innen hat, wird gefeiert. Wer wenige oder gar keine hat, wird seltsam beäugt – als wäre man „kaputt“ oder nicht ganz richtig programmiert. Tatsächlich zeigen Studien: Das Verhalten junger Menschen rund ums „erste Mal“ ist deutlich vielfältiger, als es gesellschaftliche Vorstellungen oft vermuten lassen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2021 zu der Frage, wann und warum Menschen ihr erstes Mal erleben, zeigt: Über ein Viertel (29 %) haben ihren ersten Geschlechtsverkehr erst mit 19 Jahren oder später. Und 12 % der Befragten gaben an, bis zum Alter von 32 Jahren noch keine sexuellen Erfahrungen gemacht zu haben. Häufigster Auslöser für sexuelle Aktivität ist – wenig überraschend – eine romantische Beziehung.

In der Jugendsexualität-Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2015 nannten Jugendliche und junge Erwachsene zudem persönliche Gründe, warum sie (noch) keine sexuellen Erfahrungen gesammelt haben: Schüchternheit, fehlendes Interesse, Unsicherheit oder das Gefühl, einfach noch nicht so weit zu sein. Mädchen mit Migrationshintergrund berichteten außerdem von der Angst vor Reaktionen der Eltern. All das zeigt: Es gibt keine Norm. Keine richtige Zahl. Kein Alter, das man „erreicht“ haben muss. Und niemand sollte sich über einen Zeitpunkt definieren – oder von anderen darüber definieren lassen. 

Ist es meine Schuld, dass ich bisher niemanden wirklich attraktiv fand? Oder dass die wenigen, die ich mochte, mich nicht mochten? Muss ich über Dinge hinwegsehen, nur um endlich körperliche Nähe zu erleben? Ich hätte es tun können – wie viele im Studium. Aber ich wollte nicht. Kompromisse waren nie mein Ding. Ich wollte mehr. Echtheit. Verbindung.

Und der Rest der Welt?

Auch die Art, wie Beziehungen in Medien und sozialen Netzwerken dargestellt werden, beeinflusst unser Verständnis von Intimität – und zwar oft auf eine ziemlich verzerrte Weise. Laut einer Studie des Pew Research Centers aus dem Jahr 2019 halten über 60 % der jungen Erwachsenen die dort gezeigten Beziehungsbilder für unrealistisch. Kein Wunder: Was wir sehen, sind meist inszenierte Highlights – keine ehrlichen Alltagsmomente. Aber echte Nähe entsteht nicht durch den Filter einer perfekten Beziehung. Sie wächst durch Vertrauen, Respekt – und das ehrliche Interesse an einem Menschen, so wie er wirklich ist.

Und weißt du was? Du musst nichts davon erfüllen. Du bist nicht komisch. Egal, ob du schon viele Erfahrungen gemacht hast oder gar keine – dein Weg ist richtig. Es gibt keine „richtige“ Art, Intimität zu erleben. Ob in festen Beziehungen, in flüchtigen Begegnungen oder ganz ohne – dein Wunsch zählt.

Du musst niemandem etwas beweisen. Du bist genug, so wie du bist.

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